So, hier ist eine Kurzgeschichte einer ganz lieben Freundin. Normalerweise stelle ich ja nur Rezensionen online, aber sie hat mich ganz lieb gefragt und erhofft sich nun einige Meinungen von fremden Lesern. Es würde uns beide also sehr freuen, wenn ihr euch kurz Zeit nehmt diese Kurzgeschichte zu lesen und einen Kommentar zu hinterlassen :)
Liebe Grüße
Yvi
Gefangen
Lachend rannte sie davon und schlitterte über den Boden, während sie die
Kurve nahm. Seit einer halben Stunde war sie wieder hier und nun
tollten sie wie zwei kleine Kinder durch das riesige Herrenhaus, aber es
machte verdammt viel Spaß.
Glucksend versteckte sie sich hinter einer Tür und dachte für einen
Moment daran, dass es schon so lange her war, als sie sich das letzte
Mal so frei gefühlt hatte. Mit Alan hatte sie nie solchen Unsinn gemacht
und von diesem heißen Vampir hatte sie eigentlich auch nicht erwartet,
dass er so etwas kindisches mit ihr spielen würde, aber er hatte nur
breit gegrinst, als sie ihm gesagt hatte, sie will kurz joggen gehen und
gemeint, dass er ihr fünf Sekunden Vorsprung geben würde, um vor ihm
davon zu laufen. Aus ihrem Vorhaben etwas für ihre Gesundheit zu tun war
dann eben ein Fangenspiel geworden und sie liebte es.
„Chloe, Schätzchen. Ich gebe dir zehn Sekunden, um dir ein besseres
Versteck als die Tür zum Saloon zu suchen, ansonsten gehörst du mir.“
Ein angenehmer Schauer rann ihr über den Rücken und sie konnte nicht
anders als zu lachen, weil er sich so empört anhörte, als würde sie ihn
mit diesem Versteck beleidigen. Kichernd folgte sie der Anweisung und
gerade als sie die Treppe zum Keller erreicht hatte, schlangen sich zwei
muskulöse Arme um sie und drückten sie fest an eine harte Brust.
„Zu langsam, Prinzessin. Das müssen wir üben, sonst macht das jagen ja gar keinen Spaß.“
Frech grinsend drehte er sie zu sich herum, worauf sein Grinsen noch
breiter wurde, weil sie ihn anstrahlte, als gäbe es gerade keinen
anderen Ort an dem sie sein wollte.
„Du elendiger Vampir. Ich bin doch keine Beute!“ Gespielt böse sah sie
ihn an, konnte das aber nicht lange und verfiel wieder in ein
glückliches Lachen. Zufrieden mit der ganzen Situation stellte sie sich
auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen, bevor
sie den Augenblick nutzte und sich von ihm los machte.
„Fang mich!“
Sie schlug den Weg aus der Küche zurück in die Eingangshalle ein und
hörte hinter sich sein dröhnendes Lachen, was sie mehr beschwingte, als
jedes noch so schöne Wort. Worte waren oft nur Schall und Rauch, aber
eine Geste und eine Gefühlsregung waren das schönste Geschenk, was er
ihr machen konnte und er lachte so selten, dass sie sich immer darüber
freute, wenn er seiner Freude Ausdruck verlieh.
Als sie im Flur ankam, sah sie sie.
Drei Männer, groß und in schwarz gehüllt blickten sie finster an und die
einzige Frau in der Runde warf ihr einen herablassenden, hasserfüllten
Blick zu.
Chloes Lächeln erstarb.
Sie spürte, wie Raphael einen Arm um ihre Hüfte legte und sie nah an
sich zog. Sie hob den Blick zu ihm und sah die kalte Maske, die er immer
aufsetzte und nun bestätigte sich ihre Vermutung: Sie befanden sich in
einer gefährlichen Situation.
„Was wollt ihr hier?“ Raphaels ganzer Körper war angespannt und er
musterte die Eindringlinge wütend. Wie konnten sie es wagen in sein Heim
einzudringen und das auch noch genau dann, wenn seine Gefährtin sich
hier befand? Wer hatte ihnen das Recht geben, sich in seine
Angelegenheiten einzumischen?
Die Frau warf ihr rotes Haar zurück und ging zwei Schritte zur Seite.
Ihre Absätze klackten auf den Boden und riefen in ihm die Erinnerungen
an Gewehrschüsse hervor.
„Raphael Damien McDear, auf Befehl des inneren Kreises bist du hiermit
wegen Hochverrates an der Rasse, vor allem aber an der Krone verhaftet.
Bis auf weiteres stehst du unter Hausarrest und wirst aufgefordert ohne
Widerstand uns in das Königshaus zu folgen.“
Kurz verstummte die Vampirin und wartete, ob eine Antwort von ihm kommen
würde, da er sie aber nur ungläubig ansah, begann sie wieder zu
sprechen, wandte sich dieses Mal direkt an Chloe.
„Chloe Alyson Williams, auf Befehl des inneren Kreises wirst du wegen
Verführung eines Vampires und der Offenbarung gegenüber eines
Außenstehenden, dass du eine Gefährtin bist, hiermit und ohne Gnade zum
Tode durch Ausblutung verurteilt. Dir wird angeraten ohne Widerstand das
Urteil anzunehmen, ansonsten wird es schwerwiegende Konsequenzen nach
sich tragen.“
Leise gluckste Raphael, bevor ein gefährliches Grinsen auf seinen Lippen
erschien, während seine Augen rötlich aufleuchteten. Sanft, aber
bestimmt zog er Chloe hinter sich und verbarg sie so mit seinem Körper
vor den Augen seiner Feinde.
„Glaubt ihr allen Ernstes, ich folge euch Hohlköpfen ins Königshaus und
sehe dann auch noch dabei zu, wie ihr meine Gefährtin umbringt? Es
interessiert mich nicht, was der innere Zirkel davon hält, dass ich eine
menschliche Gefährtin habe. Genauso wenig kümmert es mich, was für ein
Urteil sie über uns gelegt haben, ohne uns auch nur vor das königliche
Gericht zu bringen. Chloe hat mich weder verführt, noch hat sie jemandem
von uns oder ihrem Schicksal erzählt, also hört auf solchen Mist von
euch zu geben. Und ich warne euch nur ein einziges Mal: Verschwindet von
hier und lasst uns in Ruhe unser Leben leben, sonst werdet ihr mich
kennenlernen.“
Er würde nicht zulassen, dass man ihm seine Liebe nahm und erst Recht
würde er verhindern, dass man sie ohne auch nur mit ihnen zu sprechen
wegen falscher Tatsachen anklagte. Er würde Chloe beschützen, selbst
wenn es das Letzte war, was er tun würde. Sie würde nicht sterben.
„Willst du dich wirklich gegen das Königshaus und den inneren Kreis
stellen? Willst du wirklich die Wut unserer obersten Instanz auf dich
ziehen?“
„Du hast es erfasst, Silvana. Selbst wenn es sein muss stelle ich mich
gegen euch alle, aber niemand von euch wird Chloe auch nur mit einem
Finger anfassen.“
Silvana sah ihn kurz an, bevor sie zu den drei Männern blickte, die die ganze Unterhaltung schweigend verfolgt hatten.
„Nehmt sie fest.“
Nur wenige Sekunden später saß Chloe auf dem Boden und presste sich an
die Wand hinter ihr, während Raphael mit zwei Breitschwertern in den
Händen gegen die drei Vampire kämpfte. Wie in Zeitlupe sah sie, wie er
die Schwerter hob und die Hiebe parierte, wie einer der Angreifer einen
Dolch aus seinem Ärmel zog und diesen Raphael ohne Gnade in den linken
Oberarm rammte. Sie hörte sich selbst schreien, nahm es aber nicht
wirklich wahr. Sie sah, wie ihr Vampir sich drehte und dem
hinterhältigen Angreifer schwere Wunden mit seinem Schwert zufügte, weil
dieser nicht mit solch einer Gegenwehr gerechnet hatte. Der Körper
fiel und blieb reglos liegen.
Ihre Wahrnehmung täuschte sie und erst, als sie ein paar Mal geblinzelt
hatte, sah sie wieder alles in normaler Geschwindigkeit.
Raphael riss sich die Klinge aus dem Arm und warf ihn auf den Vampir zu
seiner Linken, traf ihn aber nicht, weil er viel zu schnell war.
Die Atmosphäre war geladen mit Wut und Verachtung, unerbittlich schlugen
sie aufeinander ein, suchten nach einer Schwachstelle und sie erkannte,
dass Raphael im Nachteil war. Zwei gegen einen war auch nicht gerade
fair und obwohl er sie schon einmal vor Vampiren beschützt hatte,
schienen diese sehr viel stärker zu sein.
Fieberhaft suchte sie nach einer Möglichkeit ihm zu helfen, aber sie
konnte nicht kämpfen, wusste nicht, wie man eine Waffe hielt, außerdem
hatte sie gar keine. Und obwohl sie diese immer verabscheute, wünschte
sie sich gerade nichts sehnlicher als eine Pistole oder etwas in der
Richtung in ihre Hand.
Stahl traf auf Stahl. Die Luft schien zu vibrieren, während die Männer
wie Berserker durch den Empfangssaal wirbelten und sich nichts
schenkten. Raphael parierte einen Angriff von unten, sprang nach oben
und visierte die Schulter seines Gegners an. Er würde es direkt in
seinen vermaledeiten Körper rammen.
Geschickt fing der Vampir den Schlag mit seinem eigenen Schwert ab und stieß ihn zurück.
„Hör auf dich zu wehren oder sie stirbt.“
Raphaels Kopf ruckte nach hinten und er sah, wie Silvanas Hand sich in
Chloes Haar grub, wie sie ihren Kopf nach hinten riss und die Spitze
eines reich verzierten Dolches gefährlich nah an dem weißen Hals war.
Chloe war nicht mehr an ihrem Platz, wo der Bann sie geschützt hätte.
Sie hatte den Radius verlassen, um ihm zu helfen. Wie naiv sie doch
gewesen war! Was konnte sie, ein einfacher Mensch schon gegen so
mächtige Vampire ausrichten? Tränen sammelten sich in ihren Augen, aber
sie verbot sich selbst zu weinen. Auch wenn sie unterlegen war, diese
Art von Schwäche würde sie nicht zeigen.
„Nein! Raphael, kämpf weiter! Du darfst nicht aufhören, nur weil sie mich bedroht!“
Leise keuchte sie auf, als die Frau hinter ihr ihren Kopf mit aller
Gewalt noch mehr nach hinten riss und kniff ihre Augen zusammen, sobald
sie die Klinge an ihrer Haut fühlte.
„Willst du dieses Risiko eingehen, Raphael? Ich schwöre dir, wenn du
nicht auf der Stelle deine Schwerter sinken lässt und dich ergibst, wird
sie hier und jetzt sterben.“
Es dauerte einen Moment, doch dann fielen die Waffen klirrend zu Boden
und Raphael ließ sich widerstandslos die Arme nach hinten verdrehen.
„Braver Junge. Los, steh auf, du Miststück!“ Gnadenlos riss Silvana
Chloe auf die Beine und stieß sie dem zweiten Vampir in die Arme.
Taumelnd kam sie zum Stehen, als sich der eiserne Griff um ihre Arme
schloss.
War es jetzt endgültig mit ihnen vorbei?
Fragend hob sie den Blick und hoffte in Raphaels Gesicht eine Antwort,
ein Zeichen zu finden, aber seine Mimik war starr und beinahe glaubte
sie in seinen dunkelblauen Augen Verzweiflung und Resignation zu
erkennen.
„Lass mich sofort los, du Bastard! Verschwinde!“, keifte sie ihren
Bewacher an und begann sich in seinem Griff zu winden, auch wenn es ihr
nichts brachte, denn er hielt sie unnachgiebig fest.
//Chloe, hör auf. Es hat keinen Sinn sich jetzt gegen sie zu wehren.//
Sie erstarrte, als sie Raphaels Stimme hörte und sah wieder zu ihm. Sein
Blick ruhte auf ihr, aber sie war sich sicher, dass sie ihn in ihrem
Kopf gehört hatte.
//Kleines, gib für den Moment auf, sonst werden sie dir nur unnötig
wehtun. Wir werden schon einen Weg finden, um aus dieser Misere
rauszukommen. Aber bitte, verhalte dich jetzt ruhig.//
Chloe konnte nicht fassen, was er da von ihr verlangte. Ungläubig
starrte sie ihn an, bevor sie schwer schluckte und auf ihre Unterlippe
biss. Er wollte, dass sie aufgab. Er hatte ja selbst schon aufgegeben.
Wieso?
//Ich habe nicht aufgegeben, aber im Moment können wir nichts anderes
tun. Wir müssen versuchen jetzt noch zu überleben, bis sie uns vor das
königliche Gericht gebracht haben. Vertrau mir, Kleines. Ich lasse dich
nicht sterben.//
„Bringt sie endlich hier fort“, knurrte Silvana und ging voran.
Sie hatten nur einen Jäger verloren und die beiden Angeklagten verhaftet, das war eine gute Bilanz.
Unaufhörlich trafen seine Fäuste auf das Metall. Gnadenlos ließ er seine
Wut an der Tür aus, malträtierte sie, als wäre sie für seine
Gefangenschaft verantwortlich, während er sich Silvanas vorstellte, denn
sie war es, die er in seinen Händen spüren wollte. Sie war es, die er
dafür bestrafen wollte, seine Frau angerührt zu haben.
Sein Brüllen erfüllte die kleine Zelle, doch niemand kam, um ihn ruhig
zu stellen. Er wusste, dass man ihn beobachtete, denn das hier war ganz
gewiss kein gewöhnliches Zimmer, in welches man ihn gebracht hatte. Die
linke Seite und die Tür erlaubten es demjenigen, der außen stand, in das
Innere der Zelle zu blicken, während der Insasse leider dieses
grässliche Vergnügen nicht hatte.
Raphael wusste, dass sie ihn beobachteten und nur darauf warteten, dass
er Schwäche zeigte, doch das tat er seit zwei Tagen nicht und er
weigerte sich ruhig zu sein, wenn er keine Ahnung hatte, wo seine
Geliebte war und in welcher Verfassung sie sich befand.
Seine Wut und seine Sorge um Chloe war im Moment sein einziger Antrieb,
der einzige Grund, warum er noch nicht vor Schwäche zusammen gesunken
war. Seit er hier war, hatte man ihm nichts zu trinken gegeben und wenn
er den Tag seiner letzten Blutaufnahme genau in Erinnerung hatte, so war
dieser vor vier Nächten gewesen. Eigentlich hätte er schon längst
wehrlos sein müssen, aber er weigerte sich diesen Schweinen den Gefallen
zu tun und sich ihnen auszuliefern. Solange sie glaubten, er war
gefährlich, würden sie weder Chloe noch ihm etwas antun, denn die
Strafen bestanden immer aus zwei Teilen: dem Physischen und dem
Psychischen.
Wahrscheinlich würde der Senat ihn dazu zwingen bei Chloes Ermordung
zuzusehen, doch solange er noch die Kraft hatte hier herum zu toben und
zu brüllen, würden sie es verschieben.
„Bringt mich zu meiner Frau!“
Sein Brüllen erfüllte den kleinen Raum, bevor es verklang und er wieder begann die Tür zu malträtieren.
Wie er sie alle hier mit ihrem pseudo vornehmen Gebärden doch verabscheute.
Sie waren nur Marionetten des Zirkels und in deren Augen genauso wenig
wert, wie ein verräterischer Vampir. Solange man den Befehlen Folge
leistete, gehörte man zu ihnen, begann man aber selbst zu denken, dann
wurde einem vorgeworfen, eine Verschwörung zu planen, gar des
Hochverrates an der Krone angeklagt.
An der Krone! Wie lächerlich!
Er verpasste der Tür einen Tritt und prallte gegen die Wand, rutschte
diese hinab und landete auf dem Boden. Benommen öffnete er die Augen und
sah zwei Vampire, die kalt auf ihn hinab blickten. Jetzt wurde es also
amüsant.
„Seid ihr zwei Schwachmatten hier um mir Gesellschaft zu leisten?“
Raphael erhob sich geschmeidig vom Boden und ging in Kampfstellung, doch
nur einen Moment später spürte er, wie die beiden Männer in an den
Armen packten und hart an die Wand pressten, während sich scharfe
Klingen in seinen Körper bohrten.
„Nein. Wir führen Befehle aus.“
Befehle also. Er hätte gedacht, dass sie stärker waren, aber anscheinend
hatte er sich geirrt. Noch immer wurden die Gefangenen also
ausgehungert und halb ausgeblutet, damit sie sich nicht gegen ihr
Schicksal wehren konnten. Das königliche Gericht hatte nie Gnade. Jeder,
der von ihnen verurteilt wurde, erhielt auch seine Strafe und sie
gingen niemals von dem Prinzip der Menschen aus. Sie kannten den Spruch
„Im Zweifel für den Angeklagten“ nicht, denn sie waren die höchste
Instanz und wenn sie etwas entschieden, dann war es Gesetz.
„Lasst ihn sofort los.“
Müde hob er den Kopf und erblickte seine Schwester vor sich, die so eisig und elegant wie immer wirkte.
„Verschwinden Sie hier, Arisha. Das geht Sie nichts an“, brummte der
linke Vampir und hob seinen Arm um den Dolch ein weiteres Mal in das
Fleisch seines Gefangenen zu jagen, als ihm das Messer aus der Hand
geschlagen wurde.
Arisha stand nun ganz nah vor ihm und die Zelle fühlte sich auf einmal noch sehr viel kleiner an, als sie es so schon war.
„Das ist ein Befehl von Lord Bludov.“
Knurrend lösten sich die Vampire von dem Mann und ließen ihn los.
„Und jetzt verschwindet ihr von hier.“
Arisha lieferte sich ein Blickduell mit den Wachen und einen Moment
später verließen sie die Zelle. Es war besser, wenn sie dem Befehl des
Lords Folge leisteten, sonst würde es ihr Untergang werden und sie
konnten sich schon vorstellen, welch großes Vergnügen er dabei empfinden
würde, sie beide zu bestrafen, weil sie seinem Häschen widersprochen
hatten.
Die Vampirin wandte sich erst ihrem Bruder zu, als die Tür hinter den
Wachen ins Schloss fiel und warf ihm dann drei Blutbeutel zu.
„Trink. Du brauchst Kraft, allen voran, nachdem sie dich auch noch aufgeschnitten haben. Solche Bastarde!“
Arisha knurrte auf, während sich Raphael über die Blutbeutel hermachte
und seine Fänge in das Plastik schlug. Erleichtert schloss er die Augen
und spürte, wie die Quallen nachließen und er etwas ruhiger wurde.
„Danke.“ Nachdem er fertig war, erhob er sich und sah seine Schwester fragend an.
„Wo ist Chloe? Ich muss sofort zu ihr!“
„Das geht nicht. Die Verhandlung wird in einer viertel Stunde beginnen.
Ich habe sie in Sicherheit gebracht, als ich erfuhr, dass ihr verhaftet
wurdet, aber ich habe es eben zu spät erfahren. Silvana kann sich auf
etwas gefasst machen.“
„Was soll das heißen, du hast es zu spät erfahren? Wo ist sie? Wie geht es ihr? Verdammt, Arisha!“
Raphael fasste sie an den Schultern und begann sie zu schütteln, weil er
sich Sorgen um seine Gefährtin machte und selbst jetzt nicht aus dieser
elendigen Zelle heraus kam.
„In Sicherheit, mehr kann ich dir nicht sagen. Bereite dich jetzt aber
vor, denn der innere Zirkel ist bereits zusammengekommen und wie mir
Lord Bludov gesagt hat, sind sie alle von deiner und Chloes Schuld
vollkommen überzeugt.“
Arisha schob seine Hände sanft von ihren Schultern, lächelte ihn noch
einmal an und gab ihm den letzten Blutbeutel, dann verließ auch sie sein
Gefängnis. Es wurde Zeit, dass auch sie sich bereit machte, immerhin
ging es hier um das Leben ihres Bruders.
Völlige Stille empfing ihn, als er eintrat. Vor ihm thronten die sieben
Herrscher und musterten ihn mit verstimmter Miene, während er wütend vor
sich hin knurrte. Er hasste diese elendige Willkür und das pseudo
höffliche Getue.
Sein Blick schweifte zu seiner Schwester, die rechts neben einem der
Lords stand und ihn anblickte. In ihren Augen konnte er den
beschwörenden Befehl erkennen, sich ja ruhig zu verhalten, aber wie
könnte er? Er wusste nicht, wo Chloe sich befand und konnte nur auf
Arishas Worte vertrauen, dass es ihr gut ging.
Klock. Klock. Klock.
Drei Mal schlug der Stock des Dieners auf den marmornen Boden, bevor er
seine Stimme erhob, die an den Wänden abprallte und verstärkt wurde.
„Die Angeklagte: Chloe Alyson Williams.“
Augenblicklich drehte er sich herum und riss an seinen Fesseln, um zu
ihr zu gelangen und diese Bastarde von ihr weg zu zerren, die sie
unnachgiebig vor das Gericht schubsten, als wäre sie nicht im Stande
selbst zu gehen.
Raphael bemerkte, dass sie Schatten unter den Augen hatte und vollkommen
erledigt wirkte, als hätte man ihr jegliche Energie entzogen, aber
ansonsten schien es ihr gut zu gehen. Zumindest konnte er keine
Verletzungen erkennen.
„Bringt ihn unter Kontrolle! Wir beginnen mit den Verhandlungen.“
Raphaels Wachen rissen ihn nach hinten und nahmen ihn in einen härteren
Griff, sodass er sich kaum noch bewegen konnte. Wütend starrte er nach
oben, aber man ignorierte ihn. Jegliche Aufmerksamkeit war auf Chloe
gerichtet und er hasste sich dafür, dass er sie nicht beschützen konnte.
Dass ihm die Hände gebunden waren.
„Miss Williams, Ihnen wurde Ihr Vergehen vorgetragen. Bekennen Sie sich der Verführung eines Vampires für schuldig?“
Lorena David, Fürstin Englands warf ihr einen solch eisigen Blick zu,
dass Chloe etwas in sich zusammen sank. Was konnte sie schon gegen ihr
Schicksal unternehmen? Wenn diese Vampire hier beschlossen, dass sie
schuldig war, dann würde sie sterben.
Entmutigt ließ sie ihre Augen zu Raphael gleiten und begegnete seinem
Blick, musste leicht schlucken ob der Intensität, mit der er sie ansah.
Als wollte er ihr zu verstehen geben, dass er sie nicht sterben lassen
würde, egal was sie sagte und beinahe war sie versucht ihn zu leugnen.
Ihn und ihre Liebe, aber auch nur beinahe.
„Ja. Ich gebe es zu, ihn verführt zu haben. Aber er hat mich genauso
verführt und ich bereue rein gar nichts. Ihr großen Vampire glaubt alles
zu wissen, alles zu kennen und dabei überseht ihr das Wichtigste: Die
Liebe. Ich liebe Raphael und wenn diese Liebe mein Untergang sein soll,
dann wird es so sein.“